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Die wahre Schönheit
Ein vornehmer Mann, dem Vollkommenen in besonderem Masse zugetan,
vernahm von dem Liebreiz eines armen Mädchens. Er hatte alle Schätze
zu besitzen vermeint und glaubte sich gesättigt von ihrer Schönheit.
Aber von diesem Tage an verzehrte er sich in Sehnsucht, und er wünschte nichts
so sehr, als zu allen anderen Kostbarkeiten auch noch das Herz dieses Mädchens
zu gewinnen. Er durchstreifte das Land viele Tagereisen weit, ohne sie erblickt
zu haben, die er suchte. Einmal, am hohen Mittag, kam er in ein weites Tal. Die
Sonne brannte so heiss, dass die Luft wie ein glühender Nebel vor seinen
Augen wallte, und ausser einigen niederen Sträuchern unterbrach nichts die
Ruhe.
Da und dort arbeiteten Leute auf den Reissfeldern. Aber ihr hartes Los rührte
nicht an das träge Herz des reichen Mannes, der seinem Wunschtraum nachjagte.
Plötzlich trat aus einem der Büsche ein Mädchen auf ihn zu. Der
Mann verhielt den Schritt, geblendet von ihrer Schönheit. Nie hatte er ein
solches Ebenmass an Gestalt, so zierliche Füße, so prächtiges
Haar und einen so schönen Mund gesehen! Sie schlug die Augen nieder und
tat erschrocken.
"Bist du es, die ich suche?" fragte er. Aber da sah er plötzlich, wie die
Blätter, welche ihre Hand gestreift hatten, zu welken begannen und wie die
kleinen Tiere aus der Spur ihrer Schritte flüchteten. Ja, selbst der Bach,
der die Reisfelder tränkte, bog plötzlich wie erschrocken aus und "änderte
seinen Lauf. Nun erst bemerkte er voll Entsetzen, dass es ein Dämon war,
der ihn narrte. Kaum hatte er das aber erkannt, so begann sich das schöne
Antlitz auf eine so grauenhafte Art zu verändern, dass er schnell entfloh.
Er kam dabei vom Wege ab und geriet an eine sumpfige Stelle. Aber hier war es
wenigstens nicht so unerträglich heiss. Eine Quelle sprudelte, ein Baum
gewährte
Schatten. Seine Zweige bedeckten wie ein Baldachin einen morschen Kahn, der sich
in einem Tümpel schaukelte. In dem Kahn lag ein Mädchen und schlief.
Es lag da mit nackten Füßen, in einem "ärmlichen Gewand, das
Gesicht zur Hälfte von einem Strohhut verdeckt. Das Mädchen schien
nicht besonders hübsch zu sein, und seine Hände zeigten die Spuren
harter Arbeit. Der Verirrte hätte es kaum beachtet, so aber weckte er es,
um es nach dem Weg zu fragen. Als es aber die Augen aufschlug, da sah er: Die
kleinen Vögel
kamen herbei, setzten sich auf den Baum und begannen zu singen, stärker
sprudelte der Quell, und an jedem Zweig, den die Hand des Mädchens berührte,
brach eine Fülle weisser Blüten auf. Und als der Mann näher herantrat,
sah er das Antlitz des Mädchens leuchten in einer unsagbaren Schönheit.
Da verneigte sich der Mann tief vor ihr, denn er erkannte in einem einzigen Augenblick,
dass wahre Schönheit als ein göttliches Geheimnis aus den Tiefen steigt
und nichts mit dem Dämon der Schönheit gemein hat, welcher nur verführt
und zerstört. Er nahm sie mit in seinen Palast und wurde einer der glücklichsten
Menschen.
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